12 Tage allein durch den SAREK – Nationalpark

Oder: “Kann man 8 Tage mit kaputten Wanderstiefeln laufen?“ – von Reimar Rennecke
Touren-Idee:www.touren-wegweiser.de/Wanderungen-Schweden/Sarek-Nationalpark-1.html
„It takes a few minutes longer, because we have not enough water this summer.“ Sagt Björn und tuckert sehr vorsichtig und langsam um eine Sandbank herum. Er bringt mich in wenigen Minuten von Kvikkjokk über den Gamájahka zum Startpunkt meiner Tour. Der Sommer war bisher viel zu trocken und er zeigt mir auf meiner Karte den letzten Bach, an dem ich mich mit Wasser versorgen kann. Rund um den Prinskullen, auf dem ich übernachten möchte, sind alle Bäche und Quellen ausgetrocknet.
Der Pfad ist im Wald gut erkennbar und zieht sich etwa 3 km bzw. 400 hm den Hang hinauf. Ich bin froh, mich nach 1 Tag mit 3 Flügen (DD-Frankfurt-Stockholm-Lulea) sowie einem 2. Tag mit vielen Stunden Busfahrt (Umstieg und viele Stunden Pause in Jokkmokk) abends um 18 Uhr noch etwas zu verausgaben. Als ich aus den letzten Bäumen hervortrete, öffnet sich der Blick auf eine fantastische Bergwelt und hinter mir erstrecken sich unzählige Seen, Flüsse, Berge und Wälder, gekrönt von einem strahlend blauen Himmel, der nach und nach ins Violett und Lila übergehen wird.
Hier oben weht ein kräftiger Wind und ich suche mir einen halbwegs windgeschützten Lagerplatz direkt an einer 2 m hohen Felswand unterhalb des Gipfels. Rasch ist das Zelt aufgebaut, eingerichtet und der Gaskocher faucht leise. Das Kochen will gut vorbereitete sein, um kein Gramm Gas zu verschwenden. Leider ist das superleichte Titan-Kochgeschirr suboptimal zum Anbraten von Zwiebeln u. Paprika; man muss sehr schnell rühren und den Topf immer wieder von der schon ganz klein gedrehten Flamme hochheben. Aber nur mit ordentlichen Zutaten (und Feta!) sowie Gewürzen lässt sich das Couscous einigermaßen essen.
SAREK 082021 01Die Nacht wird durch den starken Wind, der an meinem 1,5 kg – Leichtgewichtszelt zerrt, recht laut und unruhig; ich denke „hätte ich doch nicht auf die 3 Gramm für die Ohropax verzichtet; was ich wohl noch alles zu wenig oder zu viel mithabe?“. Da es auch nach 23 Uhr nicht richtig dunkel wird, ziehe ich mir mein Schlauchtuch wie ein Stirnband über die Augen und dämmere langsam weg, während ich mich schon auf die vorhin kurz vor Erreichen der Baumgrenze gepflückten Heidelbeeren in meinem morgigen Müsli freue.

Tag 1 (ca. 20 km; ca. 8 h)
Nach und nach verliert sich der Pfad und ich bin froh über meine Garmin Fenix 3 – GPS-Uhr, da ich mich nun neben der Landschaft auch nach Kompass und Höhenmesser richten muss. „Man sollte eine Höhe von 1.100 m halten und zum Bach Vallebäcken gehen, der nun überwiegend von bequem zu gehender Heide gesäumt wird.“ Später kommen allerdings größere Blockfelder, die es zu durchqueren gilt und immer wieder wird man durch ein tief eingeschnittenes Bachbett oder ein Schneefeld zu Kurskorrekturen gezwungen. Da die Sonne immer wieder hervorkommt, könnte es ein schöner Tag sein, allerdings nervt mich der starke Gegenwind nach einigen Stunden dann doch und kühlt mich ziemlich aus. Die Strecke durch das Vallevagge ist relativ begangen und ich treffe bzw. sehe über 15 Leute, bevor ich über die Wasserscheide gelange und schräg hinabsteige zu den kleinen Seen in der Nähe der Anhöhe Habres. Es dauert eine Weile, eine halbwegs ebene Fläche für das Zelt zu finden, die auch noch ohne Steine und Wurzeln unter der Schlaffläche ist.SAREK 082021 02


Tag 2
(ca. 13 km; ca. 6 h)
Der Wind hat nachgelassen, dafür ist es ziemlich bewölkt, als ich unweit meines Zeltes auf einem Felsklotz sitze, mein Müsli esse, heißen Kaffee schlürfe und meinen Blick schon mal in Richtung meiner heutigen Route schweifen lasse. Nach etwa einer Stunde bergab (ich spüre schon etwa meine Knie) erreiche ich mit dem Bach an der felsigen Furche Ruonaskarsa eigentlich meine erste richtige Furt; durch den trockenen Sommer und den frühen Start (der Bach wird von einem großen Schneefeld gespeist, so dass er nach einem warmen Sonnentag abends kaum zu queren ist) muss ich noch nicht einmal meine „Wasserschuhe“ anziehen und kann von Stein zu Stein den Bach queren. Die nun folgende steile Flanke aus dem Bachbett heraus ist mit dem ca. 19-20 kg schweren Rucksackes eine etwas anstrengende Kletterei. Zum Glück kann man sich immer wieder an Heidegebüsch oder Wurzeln hochziehen. Anschließend geht es in östlicher Richtung um den 1161 hohen Berg Ruonas schräg am Hang entlang. Der zwischenzeitlich erkennbare Pfad verliert sich nach und nach im Heidekraut und auf dem Weg ins einsame Tjuoltavagge zwingen mich Moore und Blockfelder immer wieder zu anstrengenden Umwegen. Je tiefer ich komme, umso dichter wird die Vegetation und die Abschnitte, in denen ich mich durch dichtes Weidendickicht oder Birkengestrüpp zwängen muss, werden länger. An einigen Bächen test ich die Dichtigkeit meiner Wanderstiefel und freue mich schon auf die Rentierwächterhütte, an der ich eine ausgiebige Mittagsrast mache.
Dann folgt die nicht ganz einfache Querung des Tjuoltajakka - dieses Mal mit Watschuhen. Das eiskalte Wasser geht mir bis an die Oberschenkel, die Strömung ist recht stark und ich muss bei den teils basketballgroßen glitschigen Steinen vorsichtig sein. Leider kann ich mich auch auf meine Trekkingstöcke nicht zu 100% verlassen, da diese just in diesen Momenten bei starker Belastung gerne die Klemmwirkung im unteren Segment verlieren. Vermutlich kommen da die Kälte (das Material zieht sich etwas zusammen) und das Wasser als ungünstige Faktoren in Kombination zusammen. Aber ohne Stöcke wäre eine solche Flussquerung überhaupt nicht machbar. Manch „alter Sarek-Hase“, dem ich begegne, hat sogar einen ca. schulterhohen kräftigen Holzstab dabei, der oben etwas abgerundet ist, so dass man sich gut damit gegen die starke Strömung stemmen kann.SAREK 082021 03Da ich eigentlich noch eine weitere Flussquerung erwarte, gehe ich in meinen Watschuhen weiter, was sich bei den folgenden Moorflächen als sehr hilfreich erweist. Ein Stück den Hang hoch mache ich an einer windgeschützten Stelle an einem kleinen Bachlauf eine weitere Pause und lasse mich von der inzwischen sehr kräftig scheinenden Sonne wärmen.
SAREK 082021 04Jetzt geht es relativ angenehm durch niedriges Heidekraut schräg den Hang hoch, bis ich nach einer weiteren Bachquerung am Ausgang des Laptavagge an einem kleinen See eine traumhaft schöne Zeltstelle erreiche. Da es angenehm windstill und immer noch sonnig ist und ich heute doch recht viel ins Schwitzen kam, stürze ich mich nach dem Zeltaufbau für einige Sekunden ins eisige Wasser. Die Schneefelder, welche u.a. den See speisen, sind keine 200 m entfernt. Stundenlang sitze ich neben meinem Zelt auf einem flachen Felsklotz und bestaune die grandiose Bergwelt, in der ich mittendrin bin. Am anderen Ende des Sees entdecke ich 2 andere Wanderer, die das Hochtal durch grobe Blockfelder herunterkommen und dort ihr Lager aufbauen.SAREK 082021 05

Tag 3 (ca. 20 km; ca. 9-10 h)
Heute erwartet mich eine lange und anstrengende Tour, also bin ich bereits kurz nach 6 Uhr auf den Beinen und starte kurz vor 8 Uhr in Richtung einer kargen Hochebene. Immer wieder den Kompass meiner Uhr kontrollierend bewege ich mich - immer wieder kleinen Seen und Blockfeldern ausweichend - östlich bis zur Wasserscheide. Nach und nach öffnet sich der Blick immer mehr auf das herrliche und wilde Njastjosvagge. Plötzlich und unerwartet habe ich sogar für wenige Minuten Mobilfunkempfang und kann eine kurze „OK-Meldung“ und ein paar Bilder in die digitale Welt senden. Es geht recht steil bergab parallel eines tief eingeschnittenen Baches, den ich unterhalb einer Felsrutsche mit einem beherzten Sprung auf ein kleines Schneefeld überquere. Je tiefer ich ins Tal komme, desto mühsamer wird das Vorwärtskommen: dichtes Birkendickicht wechselt sich mit Mooren und Weidengestrüpp ab. Dazu muss ich immer wieder die Richtung korrigieren und halte auf eine markante Felsstufe im Fluss zu, der sich anschließend verbreitert und eine langgestreckte Sandbank/Insel als Orientierung dient. Immer wieder bleibe ich zum Fotografieren stehen und genieße tolle Aussicht: der Fluss schimmert türkis und schlängelt sich in unzähligen Bögen mit etlichen Verzweigungen durch das Tal. Endlich am Fluss angekommen, erwiess sich der erste Teil der Furt bis zur Sandbank als einfach. Doch die laut rudimentärer Wegbeschreibung geeignetste Stelle erweist sich als so tief, dass ich befürchte, einige Meter schwimmend zurückzulegen. Also folge ich der Sandbank bis zum anderen Ende und wage dort die Querung. Zum Glück ist die Strömung nicht so stark, die Treibsandstelle nur ca. einen halben Meter breit und das Wasser geht mir nur bis zu den Oberschenkeln.SAREK 082021 06Die schlammige Böschung hochgekämpft, stehe ich bis zu den Schultern im dichten Weidendickicht, ziehe mir mühsam die Hose und Stiefel wieder an und schlage dabei ständig nach Stechmücken. Eigentlich wollte ich hier eine Mittagsrast einlegen, was aber absolut unmöglich ist. Leise vor mich hin fluchend zwänge ich mich die nächsten 1,5 Stunden bei sengender Sonne durch das Dickicht. Immer wieder reißen mir die Äste meinen („Schutz“)-Hut vom Kopf, zwei Mal kann ich in letzter Sekunde verhindern, dass es meine Brille wegschleudert, die Schlaufen meiner Stöcke verheddern sich in den Zweigen und ich bleibe x Mal mit den Riemen des Rucksackes hängen. Oben von der Sonne geblendet, erkenne ich unten kaum die teils 30 cm hohen Wurzeln, die mich immer wieder fast zu Fall bringen oder stolpere in 10 – 20 cm breite Bach-Spalten, die ich manchmal eher am Gluckern des Wassers bemerke, als dass ich sie auf dem dunklen Boden und zwischen den Zweigen und Wurzeln sehen kann. Die Büsche sind oft über 2-3 Meter hoch, so dass ich aufpassen muss, die Richtung einigermaßen zu halten. Manchmal kann ich für ein paar Meter einem Wildwechsel folgen, der mich aber stets von meiner Richtung abbringt, da er von den Bergen zum Fluss verläuft. Wieder nutze ich den Kompass meiner Uhr und schalte ab und zu die GPS-Funktion am Handy ein, um meinen Standort zu kontrollieren. Dies stellt sich als recht frustrierend dar, da ich gefühlt immer weiter sein sollte als ich dann tatsächlich bin.
Doch irgendwann häufen sich die Lichtungen, kleine (ausgetrocknete) Moorflächen erleichtern das Laufen und ich kann mich wieder anhand des links verlaufenden Flusses und der rechts aufragenden Bergkette orientieren. Plötzlich merke ich, dass mein rechter Stiefel bei jedem Schritt ein schlampendes Geräusch von sich gibt, obwohl der Untergrund trocken ist. Ich bleibe stehen und schaue nach unten: ungläubig erkenne ich, dass sich die Sohle meiner nagelneuen Marken-Wanderstiefel von der Ferse her auf über einem Drittel gelöst hat. Völlig erschöpft und mit den Nerven am Ende lasse ich meinen Rucksack auf den Boden fallen und setze mich ins Gras. Die Mücken sind mir egal; Durst habe ich und trinke fast eine halben Liter Wasser aber ich muss mich zwingen, in einen Müsliriegel zu beißen. Wie soll das nun weitergehen? Was mache ich, wenn die Sohle sich vollends löst? Oder vielleicht sogar beim linken Stiefel das gleiche passiert? Langsam ziehe ich meine von etlichen Bachquerungen noch nassen Barfußschuhe an und befestige die Stiefel an meinem Rucksack. Die nächsten 7-8 kam komme ich kaum schneller als im Dickicht voran, da ich nun mit den nassen Stiefeln ca. 22-23 kg auf dem Buckel habe und die Schuhe keinerlei Dämpfung haben. Mit zunehmender Höhe nehmen die felsigen Passagen zu und die Füße schmerzen bei jedem Schritt. Ich versuche, mich durch die wunderschöne Landschaft etwas abzulenken und halte auf einen Wasserfall und die dazugehörige Geländestufe zu. Mit der zunehmenden Höhe frischt auch der Wind auf und es schieben sich immer wieder Wolken vor die Sonne.SAREK 082021 08Gegen 17 Uhr erreiche ich den See Lulep Njatjosjaure und finde wieder eine wunderschöne Zeltstelle direkt am Wasser. In einiger Entfernung hat eine kleine Gruppe ihre Zelte aufgebaut und ca. 50 m in die andere Richtung findet ein weiterer Einzelwanderer eine ebene Stelle hinter einer Felsgruppe. Wieder tauche ich für einige Sekunden ins eiskalte Wasser und mache ich mich nun an die Reparatur meines Schuhes: Gewebeband ist an der Ferse ungünstig zu verkleben und erhöht die Rutschgefahr. Also führe ich ein Stück 2-mm-Reepschnur durch die halbschräg verlaufende Profilrille, unter dem die Ferse stabilisierenden Draht hindurch zur Fersenschlaufe und verknote sie dort. Ich bin ja gespannt, wie lange diese Improvisation hält und ich so laufen kann. Um meine Familie nicht unnötig zu beunruhigen, werde ich dieses Malheur nicht in meiner alle 2 Tagen vereinbarten „OK-Status-Meldung“ per Satelliten-Kommunikation (mit dem Garmin „InReach-Mini“) nicht erwähnen.
Mein Abendessen genieße ich auf einem Felsblock sitzend, das schmerzende linke Knie ausbaumelnd, den Blick über den See, die umliegenden Berge und Schneefelder schweifend und koste die letzten Sonnenstrahlen aus, bevor die Sonne hinter der Bergkette verschwindet. Plötzlich ertönt ein mächtiges Poltern von der gegenüberliegenden Felswand und etwa 50 – 100 m hinter dem Nachbarcamp der kleinen Wandergruppe geht ca. 2 Minuten lang eine mächtige Gerölllawine ab. Noch eine Stunde vorher waren dort am Wandfuss noch 2 der Nachbarn herumgestreift. Nach einer bangen Minute angestrengten Schauens Richtung See-Ende hatte ich aber alle 4 Nachbarn entdeckt – puh!

Tag 4 (ca. 21 km; ca. 9 – 10 h)
Nach einem kurzen Schwatz mit meinem Solo-„Nachbarn“ startet ich wieder um kurz vor 8 Uhr – leider immer noch im Schatten der hohen Berge rechts und links von mir. Es geht fast eben auf gut zu laufendem Untergrund an 2 weiteren Seen entlang immer Richtung Westen dem Talende und einer weiteren Wasserscheide entgegen. Immer wieder muss ich mich umdrehen und kann mich kaum an der wundervollen Landschaft sattsehen, die sich hinter mir ausbreitet, je weiter ich hochsteige: drei tiefblaue Seen, eingebettet zwischen mächtigen Felswänden, dazwischen Schneefelder, grüne Wiesen und darüber ein strahlendblauer Himmel.SAREK 082021 09Da mein linkes Knie bei jedem Schritt schmerzt, komme ich nur relativ langsam vorwärts und bin froh, dass ich heute solch einfaches Gelände sowie herrliches Sonnenwetter habe. Beim Abstieg von der Wasserscheide benutze ich wieder oft meinen Kompass und jetzt auch die Wanderkarte und versuche, meinen Standort mit der groben Wegbeschreibung und einem stark verkleinerten Foto der Gegend abzugleichen. Irgendwo vor mir soll eine Rentierwächterhütte stehen, auf deren Höhe ich den nächsten Fluss queren soll und anschließend die Wegrichtung um fast 90 ° nach Norden ändern. Gefühlte 50 Mal suche ich die Landschaft vor mir ab und vergleiche die im Hintergrund aufragenden Bergformationen mit dem Bild – umsonst. Aber eigentlich kann ich mich nicht wirklich verlaufen, da ich einfach immer links vom Fluss bleiben muss und nicht zu weit in die Berge kommen darf. Irgendwann entdecke ich in der Ferne in einem Sattel eine relativ neue Hütte; vermutlich wurde also die alte Hütte abgerissen und der besseren Übersicht über die Weidegründe nach oben verlegt. Der Bericht, dem ich meine Route verdanke, ist ja doch schon etliche Jahre alt.
Aus der Ferne winken mir die 2 Wanderer aus München zu, die ich bereits am 1. Abend kurz getroffen hatte und die mich am 2. Abend überholten. Irgendwann kommt mir die Idee, dass der Schmerz in meinem Knie vielleicht auch damit zusammenhängt, dass ich am Vortag bei einer der Furten meine Kniemanschette bis über das Knie hochzog und so stundenlang wanderte. Eventuell hatte sich dabei das Blut ungünstig gestaut und eine Entzündung verursacht. Daher spülte ich eine Ibuprofen 400 herunter in der Hoffnung, die Schmerzen zu reduzieren und mit dem Zusatznutzen der entzündungshemmenden Wirkung. Mein „Weg“ führt angenehm eben und einfach über flaches Heidekraut, Gras und über trockene Moore. Rechts öffnet sich nach und nach das Sarvesvagge und eine weitere Stunde später komme ich am türkisfarbenen Alkajaure an. Da der Wasserstand des Alep Sarvesjakka erfreulich niedrig ist, quere ich diesen lieber jetzt gleich kurz vor der Mündung in den See an einer recht breiten Stelle. Wer weiss, was morgen früh ist…SAREK 082021 10Nachdem ich den steilen Abhang auf der anderen Seite erklommen habe, finde ich eine sehr schöne Lagerstelle. Beim anschließenden Wasserholen und Waschen sehe ich, dass die beiden Münchner auf der anderen Seite ihr Lager aufschlagen und unweit davon ein weiterer Einzelwanderer einen Lagerplatz sucht.
Da die Sonne noch viele Stunden scheinen wird und auch ein leichter Wind aufkommt, stülpe ich meinen wasserdichten Schlafsackbeutel auf links, stopfe T-Shirt, Socken, Unterhose und Hemd hinein, fülle ihn zu ¾ mit Wasser und tropfe etwas abbaubare Bioseife hinzu. Anschließend verschließe ich den Sack, bewege ihn 2-3 Minuten hin und her und lasse alles etwa eine halbe Stunde einweichen. Währenddessen baue ich mir aus Reserve-Zeltschnüren, den Trekkingstöcken und 2-3 Häringen eine Wäscheleine. Es passt fast alles drauf; der Rest kommt auf die gespannten Zeltleinen direkt am Zelt.SAREK 082021 11Während ich gemütlich Während ich gemütlich mit meinem Abendessen auf einem Felsen sitzend wieder mein Knie ausbaumle (die Ibu hat leider nichts gegen die Schmerzen bewirkt; zum Glück tut das Knie nur beim Laufen weh) und den Wahnsinnsblick über den See, die Berge und das nächste Tal hinauf geniesse und schon mal meinen morgigen Weg studiere, lässt mich ein merkwürdiges Brummen den Himmel absuchen und tatsächlich: die beiden Münchner haben eine Drohne mit in die Wildnis geschleppt und spionieren mich aus .
Mit dem Sonnenuntergang hole ich meine getrockneten Klamotten von der Leine und krieche in meinen wunderbar warmen Daunenschlafsack. Mit etwas bangen Gedanken, was ich machen soll, wenn die Schmerzen noch länger anhalten, dämmere ich langsam weg.

Tag 5 (ca. 19 km; ca. 8 h)
Gegen Morgen frischt der Wind merklich auf und ich wache immer wieder am lauten Geknatter des Zeltstoffes auf. Die Sonne steht schon relativ hoch am strahlend blauen Himmel, als ich aufstehe. Meine beiden Nachbarn sind anscheinend früher aufgestanden, denn ich sehe sie während des Einpackens meiner Sachen ca. 300 m entfernt die Moränen südwestlich von mir hoch- und runterlaufen. Ab und zu dienen sie mir als Anhaltspunkt für meine Wegwahl, bis ich deutlich weiter unten Richtung See noch einen Einzelwanderer entdecke. Jetzt habe ich die Qual der Wahl, halte mich dann doch so grob an der oberen Streckenführung und hoffe auf weniger Weidendickicht. Es ist trotzdem recht anstrengend, wozu auch der inzwischen Sturmstärke entwickelte Gegenwind beiträgt. Mir tränen ständig die Augen, so dass ich am Boden wieder kaum die Wurzeln und Steine erkennen kann und krame irgendwann entnervt aus den Tiefen meines Rucksackes meine Sonnen-/Gletscherbrille hervor. Die Verbesserung ist signifikant und nach ca. 1 Stunde wird die Strecke deutlich angenehmer zu laufen, da die Wiesenflächen alle trocken sind. Die erste Furt ist noch ohne Watschuhe möglich, doch die nächsten beiden sind deutlich länger und tiefer. Dabei treffe ich dann die beiden Münchner wieder und der Einzelwanderer stellt sich als Studentin heraus. Sie hat sich für die „wet & fast“-Schuhvariante entschieden und ist nur mit leichten Trailrunning-Schuhe unterwegs, mit denen sie auch durch die Flüsse und Bäche stapft. Angesichts der bis dahin warmen Witterung eine Möglichkeit, wenn man zügig unterwegs sein will. Wenn es aber mal kälter werden sollte oder das Gelände wirklich anspruchsvoll, könnten die Schuhe an ihre Grenze kommen.SAREK 082021 12Wie gut ich mit meinen schnürbaren Schuhen dran bin, zeigt mir einer der Münchner, dessen Wat-Schuh sich beim letzten Schritt vor dem Ufer vom Fuss verabschiedet und davontreibt. Dank eines beherzten Sprints und seinem Trekkingstock kann er den Schuh wieder herausfischen. Eine Minute vorher ist seinem Kollegen beim Furten ebenfalls ein Missgeschick passiert: sein Carbon-Trekkingstock brach am mittleren Segment durch. Glücklicherweise lässt sich zumindest das längere Stück noch verwenden, so dass er den Stock noch eingeschränkt weiter nutzen kann.SAREK 082021 13Die nächsten Stunden vergehen wie im Flug. Da das Alkavagge eines der Haupt-Täler ist, hat sich manchmal ein dünner Pfad gebildet, der leicht zu gehen ist. Vielleicht dank der zweiten Ibu400 zum Frühstück ist der Knieschmerz fast verschwunden. Die Orientierung ist einfach und es geht nur ganz sanft bergauf. Immer wieder sind kleine Bäche zu queren, meist gesäumt von kleinen Blumen und saftigen Gräsern. Gegen 15 Uhr dreht innerhalb kurzer Zeit der Wind um fast 90° und es ziehen immer dickere Wolken auf. Ich habe noch etwa eine Stunde bis zu meinem Tagesziel, einem markanten Rentierzaun, einer Rentierwächterhütte und einem weiteren breiten und tiefen Fluss. Mit den ersten Tropfen suche ich mir hektisch eine einigermaßen passende Zeltstelle aus, baue in Rekordzeit das Zelt auf, verteile meinen Krempel in den Apsiden und im Zelt, schließe die Reißverschlüsse und es beginnt zu schütten. Puh, was für ein Timing! Ich richte es mir gemütlich ein und dussle die nächsten 2-3 Stunden vor mich hin. Der Wind lässt den Regen heftig gegen das Zelt prasseln und ich beobachte mit etwas Sorge die Wassertropfen, die sich nach und nach auf der Innenseite bilden, auf das Innenzeltnetz tropfen und runterkullern. Leider finden einige Tropfen ihren Weg auch ins Innere und ich muss meine Regenjacke sowie das Handtuch immer wieder verschieben, um meinen Schlafsack zu schützen.
Gegen 20 Uhr wird der Regen schwächer und ich nutze dies, um vorsichtig in der Apsis zu kochen. Jeder Handgriff wird etwas besonnener als sonst getätigt, um den Kocher auf keinen Fall zum Umstürzen zu bringen. In dieser Nacht wünsche ich mir wieder Ohropax: von der einen Seite rauscht der Fluss, von der anderen Seite donnert ein 200 m entfernter Wasserfall und dazu rütteln Wind + Regen am Zelt.

Tag 6 (ca. 20 km; ca. 7-8 h)
Meine Tagesetappe beginnt mit einer heftigen Furt des Kuoperjakka, da ich aus Faulheit nicht weiter flussauf laufen will, um eine Stelle zu suchen, an der sich der Fluss in mehrere Arme aufteilt, sondern direkt dort, wo der Pfad auf den Fluss trifft. Durch den Regen der vergangenen Nacht war der Fluss deutlich angeschwollen und ich ziehe zur Sicherheit gleich mal meine Trekkinghose aus. Die starke Strömung ging mir tatsächlich bis weit über die Knie und ich muss mich vorsichtig durch das milchig trübe eiskalte Gletscherwasser tasten. Der alte Kneipp hätte seine Freude gehabt. Der anschließende Pfad lässt sich bequem wandern und ich kann das sich nach und nach vor mir öffnende Rapadalen sowie die umliegenden Berge und Gletscher bestaunen. Der Weg verläuft fast auf gleicher Höhe und wunderbar ist die Sicht hinunter auf das Delta (der Smailajakka vereint sich dort mit dem Kuoperjakka): ein farbenfrohes Bild, hervorgerufen durch die unterschiedlichen Sedimentgehalte in den Flussläufen und Seen. Nach einem kurzen Anstieg erreiche ich die tief eingeschnittene Schlucht des Smailajakka, durch die das Wasser tosend seinen Weg sucht, der ich weiter zur Hochebene Skarja folge. Hier treffen mehrere Täler zusammen und wurden daher schon lange als „Herz des Sarek“ bezeichnet. Es gibt eine Nothütte und das einzige Nottelefon im Sarek sowie eine von 4 Brücken, da der tosende Fluss anders nicht zu queren wäre und einen Umweg von etwa einem Tag erforderlich wäre. Die Brücken werden mit Hilfe eines Helikopters im Frühsommer nach Ende der Schneeschmelze montiert und Ende September wieder abgebaut, um eine Beschädigung bzw. den Komplettverlust durch die Frühjahrhochwasser zu vermeiden.SAREK 082021 14Nachdem ich vorsichtig über die schmale und etwas schwankende Brücke gegangen bin, wandere ich vielspurigen „Autobahn“ das Rapadalen entlang Richtung Südosten. Entgegenkommende Wanderer frage ich etwas bange nach der berüchtigten Querung des Gletscherbaches Tjagnarisjakatj. Dies soll laut mehrerer Wanderführer nach Regenfällen oder langen Sonnentagen sehr schwierig sein. Dies bestätigten mir 2 Pärchen: als sie am Vorabend auf der anderen Seite des Baches ankamen, war der Wasserstand so hoch und die Strömung so stark, dass sie die Steine im Bachbett „grummeln“ hörten; ein sicheres Zeichen, den Bach auf keinen Fall zu furten! Also übernachteten sie genauso wie weitere Trekker auf der anderen Seite und warteten bis am frühen Mittag das Wasser wieder weit genug zurück gegangen war. Sie bestätigen mir auch, dass die beste Furt-Möglichkeit – wie in den Beschreibungen zu lesen war – unterhalb einer langgezogenen „Insel“ ist. Die rund 100 Meter unterhalb des Trails mit Steinmännern gut markierten Stelle, an der sich der Bach nach seiner Teilung wieder vereint, lässt sich bei noch knietiefem Wasser inzwischen gut queren.SAREK 082021 15Etwa 1,5 Stunden später halte ich vergeblich Ausschau nach dem in meiner Wegbeschreibung erwähnten großen Findling Spökstenen (Geisterstein), in dessen Nähe sich, einer Legende nach, der Geist eines sich aus Liebekummer selbst das Leben genommenen Mädchens auch heute noch den Wanderern des Nachts erscheinen soll.
Da das Tal in der Nähe des Flusses mit undurchdringlichem Dschungel bewachsen ist, entfernt sich der Weg nach und nach immer steiler werdend hinauf zum Snavvajaure. Der Pfad wird recht anstrengend: immer wieder an Weidengestrüpp vorbeizwängend, über Felsen kletternd, durch morastige Stellen tastend muss man 300 Höhenmeter überwinden. Durch den Regen der vergangenen Nacht ist noch alles nass und rutschig. Es wird immer steiler und ich muss mich schließlich an Felsen und Wurzeln nach oben ziehen. Seit einer halben Stunde sehe ich 3 Wanderer vor mich, denen ich immer näherkomme: 1 Frau und 2 Männer mühen sich mit großen Rucksäcken ab und schwitzen sichtlich in ihren Regenhosen und -jacken. Ich bin echt froh über meine stabilen und atmungsaktiven G1000-Klamotten sowie meinen doch schon deutlich leichteren und weniger vollen Rucksack!SAREK 082021 16Oben angekommen genieße ich wieder den herrlichen Blick das Tal zurück, ziehe mir meine Windjacke über und mache mich auf die Suche nach einem schönen Zeltplatz am Snavvajaure. Dieser ist etwa auf halber Strecke den See entlang gefunden: 10 m zum See, 15 Schritte zu einem kleinen Bach, eben und weich. Dazu ein optimaler Koch- und Ess-Felsen mit Blick über den See und die umliegenden Berge. Da die Sonne ab und zu noch scheint und ein leichter Wind geht, wasche ich wieder etwas Wäsche und schwimme 4-5 Züge im See. Als die ersten Nebelzungen das Tal hochziehen, ist es Zeit, in den warmen Schlafsack zu krabbeln.SAREK 082021 17

Tag 7 (ca. 16 km; ca. 7 h)
Der Tag startet auch nebelig und windig und ich steige die erste Stunde über Steinfelder bis zur Wasserscheide und dann recht steil über teils ausgewaschene Serpentinen ins Rapadalen. Mit etwas Geschick kann ich ohne Schuhwechsel den Bach Jilajakka über Steine queren und anschliessend den Steilhang auf der andern Seite wieder mühsam hochklettern. Die nächsten 20 Minuten schlängelt sich der Weg angenehm zu gehen und gut erkennbar weiter talwärts durch einen lichten Birkenwald. An der Abzweigung zur Skarki-Hütte mache ich eine (sehr!) kurze Müsliriegel-Pause; die hier im feuchten und windstillen Klima wieder auftretenden Mücken zwingen ich aber zu einem Schnellstart. Das Mückenmittel hält die Biester zumindest 10-20 cm auf Abstand; solange ich mich bewege, ist es auszuhalten. Eine halbe Stunde geniesse ich noch den leicht zu folgenden Pfad, der sich durch den zunehmend dichter werdenden Wald schlängelt. Doch die dann folgenden 3-4 Stunden werden die härtesten meiner kompletten Tour: die Bäume rücken immer näher zusammen, nasse Äste klatschen mir um die Ohren und nach kurzer Zeit bin ich nass bis auf die Haut („wasserdichte“ Regenklamotten werden hier neu definiert). Der Pfad verliert sich immer wieder im Dickicht oder in Sumpfflächen. Zahllose kleine Bachrinnen queren meinen „Weg“; teils so schmal und versteckt zwischen den Büschen und Wurzeln dass ständig die Gefahr besteht, reinzutreten und sich den Knöchel zu verstauchen. Da keinerlei Landmarken erkennbar sind, kontrolliere ich alle 20-30 Minuten meine Strecke mit dem Handy+GPS und bin jedes Mal frustrierter, wie gering meine Fortschritte sind. Irgendwann beginnt es auch noch zu regnen und der (kalte) Wind nimmt zu. Ich zwinge mich, jede Stunde im Laufen einen Riegel zu essen; stehenbleiben kommt nicht in Frage, da mir auch in Bewegung schon ziemlich kalt ist. Selbst an den tieferen Gebirgsbächen, die ich zu überwinden habe, bleibe ich nicht mehr stehen und verzichte auch auf die Wat-Schuhe. Das Wasser steht in den Stiefeln, wird aber leider auch nicht durch die Bewegung warm, da ständig frisches kaltes Wasser hinzukommt.
Irgendwann überquere ich den und suche dann vergeblich den in meiner Tour-Beschreibung erwähnten Pfad (meine Versuche gehen entweder in die falsche Richtung oder verlieren sich nach ca. 50 Metern). Was soll es: dann schlage ich mich halt so bergauf durch: kniehohes Gestrüpp, Löcher im Moos und zwischen Felsen, immer wieder kurze steile Anstiege saugen mir die Energie aus dem Körper. Kaum kann ich die schöne Aussicht genießen, die sich mir nach und nach bietet, je höher ich steige und der Baumgrenze näherkomme. Der Hang wird immer steiler und irgendwann geht es nur noch in selbst zu wählenden Serpentinen weiter; irgendwie müssen die 400 Höhenmeter halt überwunden werden.
Auf ca. 1.000 m soll es ein paar halbwegs ebene Zeltstellen geben. Nach einiger Suche finde ich eine Zeltmöglichkeit und eine etwas dubiose „Wasserstelle“ mit minimaler Fließbewegung - aber mit ist inzwischen alles egal. Nur noch schnell das Zelt aufbauen, raus aus den nassen, eiskalten Klamotten, rein in den Schlafsack und einen heißen Zitrone-Ingwer-Tee kochen. Es ist erst ca. 16 Uhr und ich bin fix und fertig. Die nächsten 2-3 Stunden döse ich vor mich hin, immer wieder setzt leichter Regen ein. Zum Glück hat der Wind nachgelassen, so dass ich irgendwann wieder vorsichtig in der Apsis meine Gaskocher anzünde und mir ein leckeres Abendessen heiß mache.
Gegen 2 Uhr werde ich plötzlich von einem merkwürdigen Gebimmel geweckt. Im Halbschlaf denke ich noch verwirrt: hat da jemand ganz nah sein Zelt aufgestellt und vergessen, seinen Handywecker auszumachen…? Doch dann schnauft und rupft es so komisch – da wird mir so halb klar, dass es sich wohl um weidende Rentiere handelt. Vorsichtig mache ich den Zelt-Reißverschluss auf und tatsächlich: keine 3 Meter entfernt stehen 2 Rentiere und suchen frisches „Grün“. Ein paar Schritte weiter sehe ich noch weitere Tiere, die sich absolut nicht an meinem Zelt stören. Mit einem leicht mulmigen Gefühl „die werden mir doch nicht meine Behausung niedertrampeln“ dämmere ich langsam wieder weg.SAREK 082021 18

Tag 8 (ca. 15 – 20 km; ca. 6 – 7 h)
Vorsichtig falte ich die immer noch nasse Wegbeschreibung auseinander und fotografiere sie ab, da sie schon recht unleserlich ist. Die nächsten 3-4 Stunden orientiere ich mich wieder anhand des Höhenmessers (auf ca. 1.000 Meter Höhe bleiben!) und Kompasses durch recht viel Geröll, muss kleinen Seen ausweichen und immer wieder steile Kanten hinabsteigen und nach der Furt wieder steil hinaufklettern. An der tief eingeschnittenen Schlucht des Puoutajakkatji muss ich recht weit bachaufwärts wandern, um überhaupt an den Bach zu kommen. Große, glitschige Steine machen die Furt zur Herausforderung!
Gegen Mittag kommt die Sonne heraus und als ich längere Zeit über 2 Schneefelder stapfe (mit einigen „?“ im Kopf, da in der Wegbeschreibung nur von einem die Rede ist) muss ich sogar meine Gletscherbrille herauskramen. Ziemlich beschwerlich über mehrere große Blockfelder kletternd geht es immer steiler bergab. Rechts und vor mir öffnet sich immer mehr die Sicht auf das tief unten liegende Laitaure-Delta: welch ein Farbenspiel! Als ich um eine Felsnase komme, sehe ich die malerische Senke mit herrlichen Zeltplätzen in Bachnähe und dahinter den Aussichtsberg Skierfe. Aus der Talmitte ragt steil der Felsen Nammatj auf und weiter südlich kann man den riesigen Felsklotz Tjakkeli bestaunen.
Beschwingt wandere ich weiter die Senke hinunter Richtung einer größeren ebenen Fläche nahe der Abbruchkante und richte mein Lager mit absolutem Traumblick ein. Nachdem ich eine Weile mit einem schwedischen Studenten geplaudert hatte, mache ich mich mit leichtem Gepäck an die Besteigung des Skierfe. Eigentlich hatte ich das für den nächsten Tag geplant, da die Strecke nach Aktse quasi knapp unterhalb des Berges vorbeiführt. Da ich aber noch den ganzen Nachmittag Zeit habe, die Sonne herrlich scheint und für morgen zunehmend Bewölkung vorhergesagt ist, nehme ich die 2 Stunden extra gerne auf mich. Ohne Rucksack „fliege“ ich den Berg fast hinauf. Oben dann der Hammer: ein Wahnsinns-360°-Panorama, welches ich wohl mein Leben lang nicht mehr vergessen werde!SAREK 082021 19Nach Süden fällt der Skierfe 700 m fast senkrecht ins Rapadalen ab. Wie aus der Vogelperspektive sieht man ins Laitaure-Delta mit seinen gewundenen Kanälen, Tümpeln, Mooren und Wäldern. In der Ferne Richtung Osten scheinbar unendlich Wälder und große Seen, während sich im Westen Berge und Täler mit Gletschern abwechseln. Ich suche mir ein windgeschütztes Plätzchen, esse einen Energieriegel und lasse die Schönheit der Landschaft auf mich wirken. Leicht „betäubt“ klettere ich noch vorsichtig ein bisschen an der Abbruchkante herum und kann kaum aufhören mit fotografieren und filmen.SAREK 082021 20Da die Fjellstation Aktse und der Kungsleden nur ca. 8 km entfernt sind, sind ständig (gefühlte) Menschenmassen hier oben (so im Schnitt 5 – 15 Wanderer). Irgendwann sehe ich eine junge Frau hektisch auf ihrem Handy rumtippen; tatsächlich habe ich für ein paar Minuten Mobilfunkempfang und kann eine kurze Nachricht sowie 2-3 Bilder versenden. Nach etwa einer Stunde mache ich mich an den Abstieg; alle paar Minuten kommen mir Leute entgegen – was für ein Betrieb hier. Da bin ich froh, als ich wieder in der Ruhe meines Zeltlagers angelangt bin. Da die Sonne noch für einige Stunden kräftig scheinen wird und der Wind ordentlich bläst, stelle ich meine immer noch nassen Wanderstiefel zum trocknen auf meinen großen „Windschutz-Felsen“ und wasche wieder ein paar Sachen. Beim und nach
dem Essen geniesse ich die Ausnahme-Aussicht und erst die zunehmende Kühle treibt mich irgendwann ins Zelt. Da ich noch relativ viel Energie auf der Powerbank habe und hoffe, in der Fjellstation nachladen zu können, gönne ich mir 2-3 Stunden Thriller-lesen auf dem Handy.SAREK 082021 21

Tag 9 (ca. 10 + 3 km; ca. 3 + 2 h)
Die ersten 45 Minuten sind mir bereits vom Vortag bekannt. Im Sattel vor dem Skierfe suche ich ein bisschen nach der Abzweigung Richtung Aktse und orientiere mich dann an den vereinzelt aufgebauten Steinmännchen sowie den wenigen Wanderern, die schon früh an der Fjellstation oder vom Kungsleden hier hoch aufgebrochen sind. Ab und zu ist ein Pfad erkennbar, aber irgendwann verpasse ich eine Linkskurve und steige zu weit gerade aus nach unten. Etwa 50 – 100 hm bemerke ich meinen Irrtum (vor dem bereits die Tourbeschreibung gewarnt hatte ) und muss mich mal wieder mit Handynavigation + GPS einen steilen Hang nach oben kämpfen, da ich keine Lust habe, den gleichen Weg zurückzugehen.
Der Himmel ist stark bedeckt und ich bummle etwa eine halbe Stunde über eine steinige Hochebene, nachdem ich den „Weg“ wiedergefunden hatte. Immer wieder verlieren sich einzelne Spuren oder führen wieder zusammen. Beim Abstieg kommen mir jetzt immer häufiger andere Wanderer entgegen. An der Waldgrenze stoße ich auf den Kungsleden und es wird relativ voll (so alle 5 Minuten treffe ich jemanden). Auch etliche Zelte verteilen sich über ca. 500 m links und rechts des Weges mit herrlichen Blicken Richtung Seenkette, Delta und Skierfe. Stellenweise ist der Weg sehr morastig und extrem ausgetreten – ich nenne es einen Wander-Highway. Gegen Mittag nähere ich mit der Aktse-Fjellstation; links und rechts tauchen wieder einige Mini-Campites auf. Die Fjellstation besteht aus etlichen kleinerern Gebäuden, die sich um eine Lichtung gruppieren: Büro+Anmeldung+Laden, Küchengebäude, 2-3 Schlaflager, ein Personalgebäude, ein paar Plumpsklos, 2 Wasserstellen und zwei Sitzgruppen mit Tischen; eine mit einer Feuerstelle mitten im Tisch. Dort lasse ich mich nieder und schaue erst mal, wer hier der Chef ist. Schnell identifiziere ich einen ca. 65 Jahre alten wettergegerbten Haudegen in Fjellräven-Klamotten. Ich erkläre ihm meinen Wunsch nach einem Bootstransfer zur Litnok-Stuga. Er greift zum Funkgerät und kontaktiert die Bootsführerin: sie ist gerade noch auf einem längeren Trip und wird mich gegen 15:45 Uhr abholen. Bezahlt wird der Trip indirekt per Kreditkarte (funktioniert mal besser mal schlechter per Satellitentelefon-Verbindung) über die ich vom Chef Bargeld für die Bootsführerin bekomme. Der Spaß kostet mich umgerechnet 75 EUR.
Ich stecke mein Handy und später die Powebank an einen 3-fach-USB-Veretiler, der in der Küche auf einem kleinen Brett montiert ist (gespeist von ein paar Solarzellen auf dem Dach) und hole mir ein Packung Kekse, eine Dose Bier und ein Snickers aus dem Laden, bevor ich es mir am qualmenden Feuer gemütlich mache. Sofort komme ich mit 2 jungen Schwedinnen (+ Hündin) ins Gespräch, die einen Teil des Kungsledens machen und auch auf ihre Überfahrt warten. Sie wollen innerhalb von 10 Jahren in jedem schwedischen Nationalpark mindestens einmal übernachten; heute Nacht ist der Sarek dran, der auf ca. 3 km vom Kungsleden durchschnitten wird. Eine Solowanderin aus Finnland macht den kompletten Trail und nächtigt 10 m weiter in einem recht kleinen UL-Zelt (Tarptent Rainbow solo). Dazu gesellt sich noch ein junger Streetworker aus den Niederlanden, der an einer leichten Knöchelverletzung laboriert und dessen „Kumpel“ ohne ihn weiterzog (mit dem gemeinsamen Zelt). Die Zeit vergeht wie im Flug mit Themen wie vergangene Touren, Corona, Ausrüstung sowie Arbeit-Ausbildung-Jugend und eine halbe Stunde vor der ausgemachten Zeit kommt der Fjellstuben-Chef und informiert mich, dass das Boot schon etwas früher zurück wäre und ich mich sofort auf den Weg machen sollte. Also schnell die Powerbank geholt, den Rucksack packen und den Holzplanken die ca. 10 Minuten zum Wasser folgen. Gerade landet wieder ein Helikopter auf der großen Wiese unterhalb der Station. Etliche Sarek-Trecker lassen sich von Kvikkjokk hierher fliegen oder abholen, um sich den langweiligen Kungsleden-Abschnitt zu „sparen“ – ein kostspieliges und ökologisch fragliches Vergnügen.
Das Boot teile ich mit Vater und ca. 18-jährigem Sohn (in nagelneuer TOP-Ausrüstung), die ich eine Stunde vorher aus einem Heli klettern sah. Sie wollen auch den Fluss hoch und sich am Trailhead (an einem Seitenarm vom Hauptfluss) absetzen lassen, um auf kürzestem Weg in den Sarek zu kommen. Da die Bootsführerin dort noch weitere Wanderer abholt, bringt sie mich zuerst zu meinem Absetzpunkt. Der Fluss führt relativ wenige Wasser, wodurch sie mit dem Boot nicht bis zur Litnok-Hütte kommen wird und mich daher etwas vorher herauslassen muss. Mein Aufbruch war etwas überstürzt und so hatte ich vergessen, meine Regenjacke anzuziehen und bin über die verpflichtend anzuziehende Schwimmweste dankbar, die mir ein bisschen Schutz vor dem recht kühlen Fahrtwind bietet. Wir haben herrliche Blicke zur steil aufragenden Flanke des Skierfe sowie auf den Nammatje, den wir passieren. Nach ca. 30 kalten Minuten nimmt sie plötzlich das Gas zurück, steuert vorsichtig ans ca. 2 Meter hohe Ufer und bittet den anderen Passagier, sich und das Boot an einem Birkenast festzuhalten und sagt mir, dass hier mein Ausstieg sei. Ziemlich überrumpelt nehme ich meinen Rucksack und die Stöcke und werfe sie so weit es geht, die Böschung hoch – ich sehe den Rucksack schon ins reißende Wasser zurückrollen oder mich beim Ausstieg hineinpurzeln. Mit einem beherzten Sprung verlasse ich das schwankende Boot und kann mich zum Glück an einem mickrigen Gebüsch festhalten und die Böschung vollends hochziehen. Das Boot treibt schon wieder weg, als der Vater zur Bootsführerin ruft, dass ich die Schwimmweste doch noch anhätte. Schnell reiße ich mir dies runter und werfe sie ihm über etwa 3 Meter zu. Er kann sie fangen und weg sind sie.SAREK 082021 22Heftig schnaufend nehme ich Rucksack und Stöcke auf und befrage mein Handy, wie weit es zur Hütte ist: Luftlinie vielleicht 2 km – kein Problem also. Die ersten paar Minuten komme ich am Ufer einiger maßen voran. Dann wird dieses aber so steil und zugewuchert, dass ich mir einen Weg durchs Weidendickicht suchen muss. Die bekannte Tortour beginnt, wobei es zum Glück nicht nass ist und es auch weniger versteckte kleine Wasserläufe gibt als bei den letzten „Urwald“-Etappen. Irgendwann wird das Dickicht lichter – dafür erkenne ich aber links von mir einen relativ großen See mit moorig-sumpfigen Rändern, die sich bis zum verfilzten Wald erstreckten. Rechts begleitet mich ein ca. 2 Meter breiter Wassergraben. Der „Damm“, auf dem ich mich weiterbewegte, wird immer schmaler und endet plötzlich. Entweder gehe ich wieder zurück und schlage mich durch den Wald/Sumpf oder suche mein Heil in einem Sprung über den Graben und hoffe, dass der Weg dort nicht zu schlimm wird. Kurz entschlossen öffne ich den Hüftgurt und schleudere meinen Rucksack mit Schwung über das Wasser. Die Stöcke fliegen hinterher – es fühlt sich schon ein bisschen wie Routine an. Dann setzt kurz mein Herz aus – was habe ich gemacht? Mit dem Rucksack habe ich auch meinen Satellitennotrufsender weggeworfen. Was ist, wenn ich den Sprung nicht schaffe und mich dabei verletze…? Viel Anlauf kann ich auf dem kaum 2 Meter breiten Stück Land auch nicht nehmen; was soll es: 2 schnell Schritte und ich fliege über den Graben und lande neben meinem Rucksack. Fast falle ich dabei noch auf einen meiner Stöcke.
Die nächsten paar Minuten sind gut zu gehen, doch dann muss ich in den Wald. Ständig liegen umgestürzte Bäume quer, bemooste Felsen sind zu umrunden, kleine steile Anstiege hochzukraxeln oder runterzuklettern und Wasserläufe zu überspringen. Dazu gesellen sich wieder Stechmücken, sobald ich länger als 2 Sekunden stehenbleibe. Ich bin jetzt schon eine Stunde unterwegs, also muss ja jetzt bald mal die Hütte auftauchen. Doch ein Kontrollblick auf mein Handy bringt Ernüchterung: ich habe noch nicht mal die Hälfte der Strecke geschafft. Alle paar Minuten muss ich jetzt mit dem Handy die Richtung kontrollieren, da ich wegen der dichten und hohen Bäume keinerlei Orientierungspunkte in der Ferne ausmachen kann. Der jetzt zur Orientierung aufgezeichnete Track zeigt mir, dass ich ständig im Zickzack durch den Wald irre. Also peile ich jetzt die Hütte an und merke mir die Kompass-Marschzahl. Alle 30 Sekunden kontrolliere ich nun mit dem Handykompass die Marschrichtung und komme mir vor wie ein Entdecker oder Elitesoldat im Dschungeleinsatz. Meine Peilung ist ziemlich gut und irgendwann stoße ich direkt auf die Hydrologische Messstation am Fluss und nach ca. 20 Metern auf die Litnok-Stuga, die der Forscher Axel Hamberg dort 1912 errichtete. Direkt vor der Hütte ist eine ebene Grasfläche, auf der ich mein Zelt aufbaue. Zuerst reibe ich mir aber alle nicht bedeckten Hautflächen großzügig mit Mückenschutzmittel ein.SAREK 082021 23Gemütlich mit dem Rücken an die Blechtüre der Hütte gelehnt - mit Blick auf den Fluß, Nammatje und Skierfe - geniesse ich mein Abendessen + Mousse-au-Chocolat, bevor ich mich wieder zum Lesen ins Zelt verziehe.

Tag 10 (ca. 17 km; ca. 7 h)
Schon früh weckt mich die strahlende Sonne und baue zuerst das von innen klatschnasse Außenzelt ab, um es so weit wie möglich zu trocknen. Windstille und Flußnähe sorgten dafür, dass sich in dieser Nacht sehr viel Kondenswasser an der Innenseite bildete.
Laut grober Wegbeschreibung soll das Fortkommen am Rahpaädno am ehesten möglich sein und so folge ich dem Ufer und finde tatsächlich immer wieder Tierpfade oder frei Sand-/Kiesstreifen, denen ich gut folgen kann. Oft halte ich kurz an, um die wundervolle Landschaft zu genießen und Fotos zu machen. Ab und zu muss ich dann aber doch Mooren oder Wasserläufen ausweichen und mich wieder durch Birkendickicht zwingen. Belohnt werde ich anschließend wieder von ausgetrockneten Flussläufen, in denen ich zügig vorankomme. Einige Moore sind auch so trocken, dass ich sie durchqueren kann. Die letzte halbe Stunde wurden die großen und tiefen Hufspuren, die ab und zu im Sand sichtbar sind, deutlicher und ich muss öfter frischer Elchlosung ausweichen. Aufmerksam beobachte ich die Umgebung vor mir und tatsächlich: am Ende des Moores, das ich gerade vorsichtig durchquere, zieht eine 3-köpfige Elchfamilie von einem lichten Wald durch ein kleines Tal ins nächste Birken-Dickicht. Etwa 200 m rechts vor mir sehe ich noch einen gewaltigen Elchbullen zwischen den Bäumen verschwinden. Vorsichtig, aber zügig folge ich ihm; ein paar Mal kann ich noch sein mächtiges Geweih sehen, bevor er mir dann endgültig „entwischt“.
Nach ca. 2 Stunden (~ 6 km) beginne ich eine 90°- Kurve und suche mir Landmarken im Südsüdwesten des langsam ansteigenden Geländes. Immer wieder sind nun kurze, aber steile Hänge zu erklimmen und dabei Birkenbüschen, Felsen und Heidelbeersträuchern auszuweichen und kleine Bäche zu überwinden. Dafür belohne ich mich mit Händen voller leckerer Heidelbeeren – was für ein Geschmacksunterschied zu den faden Kulturheidelbeeren zuhause! Die unablässig sengende Sonne verlockt mich öfter zu Pausen, als ich es gewohnt bin. Ich habe aber mehr als genug Zeit für meine heutige Etappe und kann die Blicke über eine herrliche und sehr abwechslungsreiche Landschaft schweifen lassen: Berge, Gletscher, Flüsse, Seen, Bäume, Moore, Bäche, Felsen, Weiden- und Birkensträucher. Ab und zu scheuche ich ein paar Vögel auf und zweimal trete ich fast auf einen Frosch und eine Kröte.SAREK 082021 24Mit zunehmender Höhe werden aus den Bäumen Büsche und ich wandere gemütlich über Heidekraut. Gelegentlich zwingen mich größere Weidegestrüpp-Flächen zu Umwegen oder ich zwänge mich mittendurch.
Langsam komme ich dem Gadokjahka näher, der sich rechts von mir eine tiefe und enge Schlucht gegraben hat, der ich die nächsten Stunden folgen werde. Erstmals seit Tagen nutze ich mein Hemd wieder als Sonnenschutz muss mit meinen beschiedenen Wasservorräten haushalten, da plötzlich alle Bäche, die ich überquere, ausgetrocknet sind. Endlich finde ich eine Stelle, an der etwas Wasser zwischen den Felsen herausrinnt und kann gerade so meine Tasse füllen. Eine ausführliche Pause und ein Nickerchen sind angesagt, obwohl ich mich kaum an der einmaligen Landschaft sattsehen kann! Je höher ich komme, desto mehr Gletscher und Schneefelder werden in meiner Marschrichtung sichtbar.SAREK 082021 25Am frühen Nachmittag komme ich an meinem Tagesziel an: der Brücke über den Gadokjahka, die hier eine besonders reißende Flussschnelle zwischen etwa 10 Meter hohen Felsen überspannt. Was für ein beeindruckendes Schauspiel und Getöse!
In einiger Entfernung schlage ich mein Lager auf, trockne meine Stiefel in der Sonne, schwimme ein paar Sekunden in meinem „Hausbach“, wasche ein paar Klamotten und sitze
einfach da und lasse die gewaltige Landschaft auf mich wirken – herrlich. Das ist heute eindeutig mein bester Tag auf der ganzen Tour. Gerade vor diesem hatte ich aufgrund der Abgeschiedenheit und schwierigen Geländesituation unten im Rapadalen am meisten Respekt. Und es ist der erste (und einzige) Tag, an dem ich keinen einzigen anderen Menschen getroffen habe.

Tag 11 (ca. 23 km; ca. 10 h)
SAREK 082021 26Während des Frühstücks (Blaubeeren mit Müsli) ziehen ein paar Rentieren vorbei.
In der Nacht ist ein recht kühler (Gletscher-) Wind aufgekommen, der mich – zusammen mit der zu erwartenden langen Etappe – zu einem zügigen Aufbruch ermuntert. Kurz nach dem Start sehe ich in einiger Entfernung die in meiner Tourenbeschreibung erwähnte Rentierzüchterhütte und werde immer wieder mit ca. 200 Metern Abstand von Rentieren begleitet. Aufgrund fehlender Landmarken wandere ich mal wieder mit Kompass-Marschzahlen und genauerer Beobachtung des Höhenmessers durch eine zunehmend tristere Landschaft. Bei etwa 1.000 m laufe ich überwiegend über Felsen und balanciere durch Blockfelder. Der Wind nimmt in der Scharte zu ich ziehe erstmals auf der Tour Handschuhe an und schütze meine Augen wieder mit der Gletscherbrille vor Wind und Sonne.SAREK 082021 27Nach und nach öffnet sich der Blick hinunter zur Parek-Ebene, einer sehr interessanten Endmoränen-Landschaft mit Rücken und Hügeln (mit Wäldchen bewachsen). Die Senken sind mit Mooren, Seen und Bächen gefüllt. Etwa in der Mitte liegt eine Samen-Siedlung mit einzelnen, weit verstreuten Hütten. Umrahmt wird die Ebene auf 3 Seiten von Gipfeln, so dass sie eher wie eine Senke wirkt, satt eines Plateaus. Durch die großen und vielen Feuchtgebiete finden sich hier unzählige Vogelarten. Die einzelnen Spuren verdichten sich am Gasskargarsajagasj zu einem Pfad, den ich nur nach der Bachquerung am Beginn der Siedlung kurz verliere. Der ausgewaschene Weg läuft sich sehr beschwerlich, wird aber zum Glück immer wieder durch Holzplanken unterbrochen, die zum Schutz der vielen Moore angelegt wurden. Abgelenkt wird man auch von der traumhaft schönen Landschaft mit malerischen Seen, in denen sich die umliegenden Berge und Wolken spiegeln.SAREK 082021 28Der Weg zieht sich und die Bäume werden höher, so dass man sich auf die überall herumliegenden Felsbrocken und Steine konzentrieren kann. Irgendwann überquere ich die Nationalparkgrenze halte Ausschau nach der in der Wegbeschreibung erwähnten Zeltmöglichkeit kurz vor einem Bach. Fast stolpere ich an dem winzigen Pfad vorbei, der rechts zu einer kleinen Lichtung führt, da der erwartete Bach zu einem winzigen Rinnsal getrocknet ist. Nach großzügigem Einreiben mit Mückenschutzmittel und Einrichtung meines
Lagers kann ich recht mühsam mit Hilfe meiner Tasse gerade genug Wasser zum Kochen & Trinken gewinnen. Hoffentlich ist das Wasser sauber genug. Ziemlich kaputt schlafe ich nach dem Essen erst mal ein Stündchen, bevor ich mich wieder meinem Hörbuch widme.SAREK 082021 29

Tag 12 (ca. 15 km; ca. 4-5 h)
Die relativ schwüle Wärme weckt mich und ich gehe den Tag ganz gemütlich an, da meine letzte Etappe einfach wird. Das Rinnsal hat sich nochmals halbiert und ich bekomme nicht mal genug Wasser zum Geschirrspülen zusammen. Das innen noch tropfnasse Außenzelt hänge ich über den Rucksack und mach mich mit dem inzwischen sehr geschrumpften Gewicht an den Abstieg. Nach etwa 2 Stunden erreiche ich wieder den Kungsleden, dessen vielen Spuren ich nun bis Kvikkjokk folge. Es vergeht kaum eine Viertelstunde, in denen ich niemandem begegne – gestern waren es den ganzen Tag nur etwa 10 Personen. Der Weg schlängelt sich mit leichtem Auf und Ab durch teils dichte Wälder, an Flüssen und Bächen entlang und um Felsen herum und erfordert keine große Konzentration.SAREK 082021 30Gegen 15 Uhr schlage ich mich kurz vor Kvikkjokk rechts Richtung des mächtigen Gamajahkas und finde in Ufernähe oberhalb einiger Stromschnellen einen wunderschönen
Lagerplatz. Einige Feuerstellen und provisorische Sitzgelegenheiten zeugen von der häufigen Nutzung. Am Fluss spüle ich mein Frühstücksgeschirr und wasche mich sowie einige Klamotten ausgiebig; für ein Bad ist die Strömung viel zu reißend. Ich spaziere noch etwas am Fluss entlang und nochmal die herrliche Landschaft. Die Steine, auf denen ich sitze, sind zu dieser Zeit normalerweise vom Wasser überspült.SAREK 082021 31Meine Wanderstiefel haben glücklicherweise mit dem Provisorium gehalten und ich musste nur 1-2 mal am Tag die Reepschnur nachjustieren. Die Sorge, dass sich die Sohle doch noch komplett löst, verschwand aber nie komplett aus dem Hinterkopf.
Morgen früh werde ich in den Bus steigen und über Jokkmokk nach Lulea fahren. Nach einer Übernachtung fliege ich über Stockholm und München nach Dresden zurück. Es war eine einmalig schöne Tour!SAREK 082021 32

August 2021

Anmerkung: Beim Sektions-Vortragsabend am 11. Mai 2022 berichtet der Autor anhand von Fotos und kurzen Videos von dieser12-tägigen Solo-Trekkingtour